„Bei einer so schweren Erkrankung wie Krebs fragt man sich natürlich, ob man weiterhin alles essen kann, was man bisher gegessen hat“, eröffnete Dr. Kerstin Wittenberg ihren Vortrag bei einer Veranstaltung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Für viele Krebs-Patient:innen beinhalte das Thema Ernährung einige Unsicherheiten. Die Hauptziele der Ernährung bei einer Krebserkrankung sind die Versorgung des Körpers mit ausreichend Energie und Nährstoffen und die Aufrechterhaltung aller Körperfunktionen. Dabei unterscheiden sich die Ernährungsempfehlungen jedoch je nach Krebsart.
Kommt es nicht zu einer ausreichenden Versorgung des Körpers mit Energie und Nährstoffen, kann eine Mangelernährung (Gewichtsverlust > 5 % in 3 Monaten), oder extremer, eine Kachexie (Gewichtsverlust durch Abbau von Fett- und Muskelgewebe), auftreten. Im Gegensatz zu einer Mangelernährung hängt eine Kachexie immer mit einer Erkrankung zusammen und äußert sich durch eine verringerte Muskelkraft, Fatigue, Appetitlosigkeit und anormale Entzündungs-, Hämoglobin- und Serumalbuminwerte.
Ein Großteil der Krebs-Patient:innen leidet unter Mangelernährung. Im Laufe einer Krebserkrankung kommt es bei ca. 90 % der Patient:innen zu einer Mangelernährung. Dabei sind vor allem Krebserkrankungen des Verdauungstrakts, Kopf-Hals-Tumoren und Lungenkarzinome ursächlich. Ernährungsprobleme können sowohl durch Krebstherapien als auch durch Schluckbeschwerden, Obstruktionen und verminderte Nährstoffaufnahme durch die Tumoren ausgelöst werden. Gewichtsverlust hat dabei einen starken Einfluss auf das mediane Überleben von Krebs-Patient:innen.
Für Patient:innen, die keine Mangelernährung oder Kachexie aufweisen, werden von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) Empfehlungen für eine gesunde Ernährung gegeben. Diese beinhalten eine abwechslungsreiche Ernährung, 5 Portionen Gemüse pro Tag, die Verwendung von Vollkornprodukten und pflanzlichem Öl, ein weitgehender Verzicht auf Zucker und Salz, sowie eine Verwendung von tierischen Produkten als Ergänzung. Dabei sollte vor allem auf eine schonende Zubereitung, bewusstes Essen, ausreichend Bewegung und Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Außerdem wird eine erhöhte Proteinzufuhr von 1 bis 1,5 g pro Tag empfohlen, wobei dies hauptsächlich durch Hülsenfrüchte und Fisch und nur begrenzt durch Fleisch gedeckt werden soll; zusätzlich eine erhöhte Fettzufuhr von 35 % der Energieaufnahme.
Krebs-Patient:innen, die eine Kachexie aufweisen, sterben deutlich früher als Patient:innen ohne Kachexie. Deshalb ist es wichtig, dieser Krankheit entgegenzuwirken. Da die Tumoren Zytokine freisetzen, die Entzündungsreaktionen im Körper auslösen und Stoffwechselstörungen und eine ungleiche Energieaufnahme verursachen, ist die Krebstherapie ein geeigneter erster Schritt bei der Behandlung der Kachexie. Daneben kann auch eine Ernährungstherapie und körperliche Aktivität helfen. Aminosäuren, nicht-steroidale Antirheumatika, Cannabinoide und Glutamin zeigen dabei eine unzureichende Wirkung.
Von dem Einsatz von Nahrungsergänzungsmittel raten Fachgesellschafte hingegen ab. Da diese keine Zulassung erhalten, kann auch keine Wirksamkeit und Sicherheit nachgewiesen werden. Häufige Risiken sind Überdosierungen, da die Mengenangaben auf der Verpackung häufig von den tatsächlichen Mengen abweichen und insbesondere bei Krebs-Patient:innen zu Wechselwirkungen mit Medikamenten führen. „Nur bei einem nachgewiesenen Mangel sollten Nahrungsergänzungsmittel, möglichst unter ärztlicher Aufsicht, gegeben werden.“ so Wittenberg. Beispiele dafür sind die Verabreichung von Vitamin B12 nach einer Magenentfernung oder Calcium- und Vitamin-D-Gabe bei einer Osteoporose.
Bezogen auf Diäten empfehlen die Leitlinien keine Einschränkungen in der Ernährung und keine Ernährungsvorschriften. „Bisher konnte keine Diät reproduzierbar Krebs heilen oder das Wiederauftreten von Krebs verhindern“, so Wittenberg. Durch Diäten besteht das Risiko für weitere Verschlechterung des Ernährungszustandes durch ungewöhnliche, einseitige oder extreme Kostformen. Konkret raten die Leitlinien von ketogener-, kohlenhydrat- oder fettarmer Diät und Fasten ab.
Dipl. oec. troph. Ingeborg Rötzer ging auf die konkrete Umsetzung von Ernährungsempfehlungen bei Krebs ein. Durch Fragebögen anhand des Nutritional Risk Screenings (NRS) kann eine Mangelernährung oder Kachexie diagnostiziert werden und eine Ernährungsintervention eingeleitet werden. Ziele einer Ernährungsintervention sind eine Vermeidung und Behandlung von ernährungsbezogenen Defiziten, ein Erhalt der Magermasse, eine Minimierung von Symptomen (Diarrhö, Obstipation, Übelkeit), eine Vermeidung von Therapieunterbrechungen, eine Stabilisierung des Erkrankungsverlaufs und der Erhalt und die Verbesserung der Lebensqualität.
Bei leichten Formen einer Mangelernährung wird auf eine Normalkost kombiniert mit Ergänzungs- oder Trinknahrung zurückgegriffen. Bei stärkeren Formen wird eine Ernährung über Magensonden (enterale Ernährung) oder Nährstoffinfusionen (parenterale Ernährung) nötig. Dabei wird auf ein individuelles patient:innenzentriertes Therapiekonzept und eine ausreichende Energiezufuhr (1750-2100 kcal pro Tag) geachtet. „Mit den Maßnahmen wird versucht, eine Energie- und Nährstofflücke zu schließen“, so Rötzer. Dabei wird innerhalb einer Basistherapie drauf geachtet, die Wunschkost der Patient:innen zu optimieren und nur bei schweren Ernährungsproblemen auf enterale oder parenterale Ernährung zurückzugreifen.
Bei Patient:innen, die Schluckstörungen oder andere durch die Krebserkrankung ausgelöste Ernährungsprobleme aufweisen, kann auf Trinkzusatznahrung (TZN) zurückgegriffen werden, die laut einer Studie zum Erhalt der Körperfunktion beiträgt. Diese Spezialnahrung beinhaltet kein Fett und meist Peptide, die besser vom Darm aufgenommen werden können als Proteine. Bei der Anwendung von Trinknahrung ist drauf zu achten, dass sie nicht zu den Mahlzeiten eingenommen wird und dass sie keinen Ersatz für Mahlzeiten oder Flüssigkeitsaufnahme bietet. Außerdem wird ein langsames schluckweises Trinken (mind. 30 Minuten) empfohlen.
Trinkzusatznahrung kann durch Ärzt:innen verordnet werden. Dies ist in der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) geregelt (Abschnitt I und Anlage XIII: Bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung). Voraussetzung dafür ist, dass die Ernährungssituation unbehandelt zu schweren geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen führt und eine Verbesserung des Ernährungszustands nicht über andere ärztliche, pflegerische und ernährungstherapeutische Maßnahmen erzielt werden kann. Die Maßnahmen wie auch das Gewicht der Patient:innen muss bei einer Verordnung ärztlich dokumentiert werden.
Nebenwirkungen von oralen Supplements (ONS), die neben Trinkzusatznahrung auch Proteinpulver umfassen, beinhalten Diarrhö, Obstipation und eine blutzuckersteigernde Wirkung. Bei Auftreten dieser Symptome kann mit Produkten, die Ballaststoffe enthalten, entgegengewirkt werden.
Während einer Krebstherapie sollte keine Gewichtszunahme oder -abnahme erfolgen, sondern ein Halten des momentanen Gewichts der Patient:innen angestrebt werden. Nach Abschluss der Behandlung kann durch ausgewogene Ernährung und körperliche Aktivität, Ernährungstagebücher, Handy-Apps und spezialisierte Ernährungsberatung eine Gewichtszunahme verfolgt werden.
Weitere Informationen zu Ernährung bei Krebs finden Sie auf der Webseite des DKFZ.
Quelle: Deutsches Krebsforschungszentrums (DKFZ)